Olena Petrenko, M.A. – Dissertation
Frauen im ukrainischen nationalistischen Untergrund der 1930er-1950er Jahre
Die Dissertation erforscht ein umstrittenes Kapitel der sowjetischen Geschichte, dessen Aufarbeitung in der heutigen Ukraine erst vor kurzem begonnen wurde. Über viele Jahre blieb einer der langwierigsten und blutigsten Aufstände in der sowjetischen Geschichte überhaupt ein weißer Fleck in der historischen Forschung. Die Erschließung des Themas durch die Wissenschaft stieß lange Zeit auf das Hindernis geschlossener Staatsgrenzen und entsprechend nicht zugänglicher Materialien. Außerdem fiel das Interesse der Forschung für die Frage des ukrainischen Nationalismus bis in die Gegenwart eher bescheiden aus. Das liegt zum einen daran, dass die Kollaboration des ukrainischen Untergrunds mit den Nationalsozialisten das Thema ideologisch ,anrüchig‘ machte, zum anderen galt insbesondere das Interesse der westlichen Forschung eher der russisch-sowjetischen Geschichte insgesamt und weniger der Situation an der ,Peripherie‘. Im Rahmen der Dissertation werden Frauen des ukrainischen nationalistischen Untergrunds in den Blick genommen, deren Aktivität und Rolle bisher vernachlässigt worden sind. Dabei geht es nicht (nur) darum, die bisher übergangenen oder marginalisierten Frauen sichtbar zu machen, sondern es soll eine neue Perspektive auf den Untergrund insgesamt gewonnen werden: Untersucht wird das Wechselverhältnis von sozialer Praxis und Diskurs, wobei gezeigt wird, dass Machtverhältnisse massiv durch die Geschlechterordnung bestimmt und perpetuiert werden. Rekonstruktion und Dekonstruktion gehen dabei ineinander über: Die Klischees, Zuschreibungen und Rollenmodelle von Weiblichkeit und Männlichkeit im ukrainischen Untergrund werden konfrontiert mit empirischem Material, wodurch Fremd- und Selbstwahrnehmung neu reflektiert werden können. Auch durch die Erschließung bisher tabuisierter Bereiche – z.B. Agententätigkeit, Sexualität als Machtinstrument, Gewaltanwendung durch Frauen – und die Auflösung dichotomer Bilder (Opfer-Täter, Helden-Schurken usw.) sollen eindimensionale Sichtweisen und monokausale Erklärungen aufgebrochen werden. Ein wichtiger Befund ist, dass die Wahrnehmung und Bewertung all dieser Bereiche je abhängig war von der Ideologie und Geschichtspolitik der verschiedenen Seiten – Diaspora, Sowjetunion, postsowjetische Ukraine und Russland. Die historische Analyse der Teilnahme von Frauen am ukrainischen nationalistischen Untergrund ist daher untrennbar mit der kritischen Aufarbeitung der konkurrierenden Erinnerungskulturen und ihrer manipulativen Geschichtsbilder verbunden.